The Art of Listening

"

Beitrag ansehen

The Art of Listening

Inspiriert durch den Beitrag vom 16. Dez. 2020, haben wir uns entschlossen „Die Kunst zu hören“ zu einem eigenen Thema zu machen. Deshalb haben wir uns auf die Suche gemacht zu schauen, was andere Lehrer zu diesem Thema zu sagen haben.

Als Erstes widmeten wir uns Krishnamurti. Dabei sind wir auf dieses Gespräch aus den 70-er Jahren zwischen Krishnamurti und Prof. Allan W. Anderson gestoßen. Dieser war im letzten Jahrhundert ein renommierter Theologe, Dichter, Autor und Professor an der Columbia University sowie wie außerordentlicher Professor an der San Diego State University.

Besonders berührend finden wir an diesem Gespräch, dass Prof. Anderson hier (trotz seiner sehr erfolgreichen akademischen Karriere) tatsächlich die Rolle eines Schülers einnimmt und sich spürbar in eine Position des Lernens und somit auch des echten Zuhörens begibt. Die Atmosphäre der Unterhaltung ist intensiv, klar und hat etwas Prozesshaftes, Lebendiges, sehr Inspirierendes! Viel Freude beim Hören!

Katrin Wulff
für das Blog-Team


Gespräch 10 mit Allan W. Anderson, San Diego, 1974 (Auszug)

Krishnamurti: Es ist also sehr wichtig herauszufinden, was es heißt zu sehen, wahrzunehmen; was es heißt zu hören. Höre ich überhaupt jemals?

Wenn man verheiratet ist, als Ehefrau oder Ehemann, als Mädchen oder Junge, höre ich sie oder ihn tatsächlich jemals? Oder höre ich sie oder ihn durch das Bild, das ich mir von ihr oder ihm erschaffen habe? Durch einen Filter von Irritationen, einen Filter von Ärger, von Herrschaftsansprüchen – all diese schrecklichen Dinge, die in einer Beziehung vorkommen.

Also, höre ich jemals ganz direkt, was Sie sagen – ohne es zu übersetzen, ohne es umzuwandeln, ohne es zu verdrehen? Höre ich jemals einen Vogel krächzen oder ein Kind weinen oder einen Mann vor Schmerzen schreien? Folgen Sie mir, Sir? Höre ich überhaupt jemals irgendetwas?

Anderson: In einem Gespräch, das wir vor ungefähr einem Jahr führten, war ich sehr beeindruckt von etwas, was Sie gesagt haben, was ich persönlich für sehr wertvoll halte. Sie sagten, dass das Hören nicht dazu beiträgt, das Sehen zu beenden oder zu stören. Hören trägt nichts dazu bei, um das Sehen zu beenden. Das ist sehr bemerkenswert, denn im Gespräch wird der Begriff des Hörens eng mit einer strikten Anweisung verknüpft. Wir sagen: ‚Also, höre mich! Hör mir zu!’, nicht wahr? Und der Betreffende denkt, dass er sich nach vorne beugen muss, im Sinne von etwas willentlich tun.

K: Richtig.

A: Es ist geradezu so, als müsste er sich hier irgendwie qualvoll verbiegen, nicht nur um demjenigen zu gefallen, der darauf besteht, dass er nicht hört, sondern um selbst etwas zum Hören beizutragen.

K: Richtig. Also, hört ein Mensch, Y oder X, überhaupt zu? Und was passiert, wenn ich zuhöre? Zuhören im Sinne von: ohne jede Einmischung, ohne jede Interpretation, Schlussfolgerung, Vorliebe und Abneigung, wissen Sie, all das, was so geschieht. Was passiert, wenn ich wirklich zuhöre?

Sir, sehen Sie, wir haben gerade gesagt, wir können unmöglich verstehen, was Schönheit ist, wenn wir Leiden und Leidenschaft nicht verstehen. Sie hören diese Aussage, was macht der Verstand damit? Es zieht eine Schlussfolgerung daraus. Es hat eine Idee gebildet, eine verbale Idee, hört die Worte, zieht eine Schlussfolgerung und formt eine Idee. Sagen wir, eine solche Aussage ist zu einer Idee geworden. Dann könnten wir sagen: „Wie soll ich diese Idee umsetzen?“ Und das wird zum Problem.

A: Ja, natürlich, weil die Idee nicht der Natur entspricht. Und andere Menschen haben andere Ideen und wollen ihre umsetzen. Jetzt stehen wir vor einer Kollision.

K: Ja. Also, kann ich mir das anhören, kann der Verstand dieser Aussage zuhören, ohne eine Abstraktion zu bilden? Einfach zuhören. Ich stimme weder zu, noch stimme ich nicht zu, höre mir diese Aussage einfach vollständig an.

A: Wenn ich Ihnen folge, sagen Sie Folgendes: ‚Kann ich angemessen zuhören?‘ Oder sagen wir einfach ‚zuhören‘, denn es geht nicht um mehr oder weniger. Ich höre absolut zu, oder ich höre absolut nicht zu.

K: Das ist richtig, Sir.

A: Ich müsste mir keine Antwort ausdenken.

K: Nein. Sie sind mitten drin!

A: Also, wie bei der Katze sind die Handlung und das Sehen eins [bezieht sich auf eine frühere Unterhaltung].

K: Ja.

A: Sie sind ein einziger Akt.

K: Das stimmt. Kann ich mir also eine Aussage anhören und die Wahrheit der Aussage oder die Falschheit der Aussage nicht im Vergleich, sondern in der Aussage selbst, die Sie gerade machen, erkennen? Ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücke.

A: Ja, Sie teilen sich sehr klar mit.

K: Das heißt, ich höre mir die Aussage an: ‚Schönheit kann niemals ohne Leidenschaft existieren, und Leidenschaft geht aus Leid hervor‘. Ich höre mir diese Aussage an. Ich leite daraus keine Idee ab und forme daraus keine Idee. Ich höre einfach zu. Was findet statt? Vielleicht sagen Sie die Wahrheit oder Sie machen eine falsche Aussage. Ich weiß es nicht, weil ich nicht vergleiche.

A: Nein. Sie werden sehen.

K: Ich höre einfach zu, was bedeutet, dass ich meine ganze Aufmerksamkeit aufbringe – hören Sie einfach zu, Sir. Sie werden gleich sehen, was passiert. – Ich schenke dem, was Sie sagen, meine vollständige Aufmerksamkeit. Dann ist spielt es keine Rolle, was Sie sagen oder nicht sagen. Erkennen Sie das?

A: Natürlich, natürlich.

K: Wichtig ist mein Akt des Zuhörens! Und dieser Akt des Zuhörens hat das Wunder hervorgebracht, dass ich von all Ihren Aussagen vollkommen unabhängig geworden bin – ob wahr, falsch, real – mein Geist (mind) ist vollkommen aufmerksam. Aufmerksamkeit bedeutet keine Grenze. In dem Moment, in dem ich eine Grenze habe, beginne ich, Sie zu bekämpfen – stimme zu, stimme nicht zu…

In dem Moment, in dem Aufmerksamkeit eine Grenze hat, entstehen Konzepte. Aber wenn ich Ihnen vollumfänglich zuhöre, ohne das geringste Eingreifen von Gedanken oder Ideenbildung oder mentaler Aktivität; ich höre dem einfach zu, dann ist das Wunder geschehen. Das bedeutet: Meine totale Aufmerksamkeit entbindet mich, meinen Geist (mind), von allen Aussagen. Daher hat der Geist (mind) einen außerordentlich unabhängigen Handlungsspielraum.

A: Das ist mir in dieser Serie unserer Gespräche passiert. Mit jedem dieser Gespräche beginnt man – weil sie auf Video aufgezeichnet werden -, wenn man das Zeichen erhält, und man sagt uns Bescheid, wenn die Zeit um ist, und normalerweise man denkt an solche  Belange der Produktion. Aber eines der Dinge, die ich gelernt habe, ist, dass ich in unseren Gesprächen sehr intensiv zugehört habe und dennoch meinen Geist (mind) nicht teilen musste. Und doch, wenn ich das richtig umsetze, was Sie gelehrt haben – also, ich weiß, dass Sie dieses Wort nicht mögen – aber auf das, was Sie ‚gesagt‘ haben, und ich verstehe, warum ,lehren‘ hier das falsche Wort war; es gibt diese allererste Begegnung, auf die sich der Geist (mind) einlässt. Wie kann ich es mir leisten, in meiner Aufmerksamkeit keinen Unterschied zu machen zwischen den Aspekten des Programms in Bezug auf die Produktion und trotzdem unsere Diskussion zu führen?

K: Genau. Das funktioniert!

A: Aber je intensiver ich mich einlasse, desto effizienter vollzieht sich der gesamte Mechanismus ganz selbstverständlich. Das glauben wir nicht; nicht nur glauben wir das nicht – wir probieren es nicht mal aus! Es gibt von niemandem eine Garantie im Voraus. Stattdessen wird uns gesagt: ‚Nun, daran gewöhnt man sich.‘ Und doch haben Künstler ihr ganzes Leben lang Lampenfieber. Sie gewöhnen sich also offensichtlich nicht daran.

K: Nein, Sir. Es liegt daran, Sir, meinen Sie nicht, dass es daran liegt, dass unser Geist (mind) so kommerziell ist! Solange ich keine Belohnung bekomme, rühre ich keinen Finger. Und mein Geist, unser aller Geist, lebt auf dem Marktplatzt: ‚Ich gebe dir dies, gib mir das.‘

A: Und dazwischen liegt eine Zeitspanne.

K: Können Sie folgen?

A: Ja.

K: Wir sind so sehr an Kommerzialisierung gewöhnt – sowohl spirituell als auch physisch –, dass wir nichts ohne Belohnung tun, ohne einen Zugewinn, ohne Zielorientierung. Es muss alles ein Tausch sein, kein Geschenk, sondern ein Tauschgeschäft: Ich gebe dir dies, und du gibst mir das. Ich martere mich religiös, und Gott muss zu mir kommen. Alles wird zu einer kommerziellen Angelegenheit.

A: Fundamentalisten haben einen Satz, der mir in Bezug auf ihr frommes Leben einfällt. Sie sagen: ‚Ich habe einen Anspruch auf die Verheißungen Gottes.‘ Und dieser Satz, im Zusammenhang mit dem, was Sie sagen, meine Güte, wozu das im Verstand nicht alles führen könnte!

K: Ich weiß. Sie sehen also, wenn man sich damit sehr tief beschäftigt, wenn das Handeln nicht auf einer Idee, einer Formel oder einem Glauben basiert, dann ist Sehen das Tun. Was ist dann Sehen – und Hören, womit wir begonnen haben? Dann ist das Sehen  [und Hören] vollständige Aufmerksamkeit, und das Tun ist genau diese Aufmerksamkeit. Und die Schwierigkeit ist – so werden die Menschen fragen -, wie können wir diese Aufmerksamkeit aufrechterhalten?

A: Ja, und sie haben damit noch nicht einmal angefangen!

K: Ja, nein, wie werden sie sie aufrechterhalten? Das heißt, sie halten Ausschau nach einer Belohnung.

A: Genau.

K: Ich werde das üben. Ich werde alles tun, diese Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, um etwas zurückzubekommen. Aufmerksamkeit ist kein Ergebnis; Aufmerksamkeit hat keine Ursache! Was eine Ursache hat, hat eine Wirkung, und die Wirkung wird zur Ursache. Das ist ein Kreislauf. Aber Aufmerksamkeit funktioniert so nicht! Aufmerksamkeit gibt Ihnen keine Belohnung. Ganz im Gegenteil,  in der Aufmerksamkeit gibt es keine Belohnung oder Bestrafung, weil sie keine Grenzen hat.

© 1974 Krishnamurti Foundation of America


Weiterführende Medien:


Weitere Beiträge zum Thema:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Pin It on Pinterest

Shares
Share This