Tanz als spirituelle Praxis

Von Unmani

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Tanz als spirituelle Praxis

“Schau, jeder Gegenstand in dieser Welt, einfach alles, befindet sich in einem Zustand des Tanzens; selbst unser Gesprochenes, diese Unterhaltung – auch sie sind nichts als Vibrationen eines rhythmischen Tanzes.”

Anandamayi Ma

Dieses berührende Zitat von Anandamayi Ma beschreibt den kosmischen Tanz, in dem jede Erscheinung Teil des großen Rhythmus des ewigen Wandels ist. Nataraja (der König des Tanzes), so wie er in unserem Beitragsbild dargestellt ist, zeigt Shiva in seinem kosmischen Tanz (tandava), welcher den Prozess von Schöpfung, Zerstörung und Wiedergeburt symbolisiert. Wenn wir die Natur beobachten, können wir den Wandel von Geburt, Leben und Tod ganz natürlich bezeugen. Da gibt es kein Ego, was sich widersetzt; die Energien fließen frei und so, wie es ihnen bestimmt ist. Der buddhistische Tertön (Offenbarer von spirituellen Schätzen) Chögyam Trungpa schreibt in seinem Buch Spiritueller Materialismus: „Wenn wir nicht mit dem Lebensrhythmus zu tanzen vermögen, werden wir auch nicht fähig sein, mit unserer aus Shunyata* gewonnen Einsicht, Samsara und Nirvana zu vereinen.”

Selbst in den Berichten um Jesus Christus gibt es eine Passage, in der er, wissend um seine Kreuzigung, in der Mitte seiner um ihn tanzenden Apostel steht und ihnen erklärt, dass der Tanz uns in das Zentrum des Lebens bringen kann, zu dieser vollen Beteiligung ohne Berechnung oder Widerstand, was Freiheit bedeutet. Vielleicht ist es deshalb so unterstützend, auch den Tanz als spirituelle Praxis zu verfolgen – sich mit einem äußeren Rhythmus innerlich zu verbinden und dem Ausdruck freien Lauf zu lassen? Osho wurde gefragt, warum er Tanzen in seine Meditation aufgenommen hat. Seine Antwort: „Weil das der einzige Weg zum Nichtstun ist: Tanze bis zum Äußersten, tanze dich in Ekstase, tanze wie verrückt. Und wenn deine ganze Energie darin aufgeht, kommt ein Moment, in dem der Tanz plötzlich von selbst geschieht, ohne Mühe, das ist Tun ohne Tun.”

Der folgende Dialog zwischen Unmani und Deva fand im Sommer 2021 während der „Dharma Talks“ im Kloster Gut Saunstorf statt. Unmani integriert freien, meditativen Tanz in ihre Treffen.

Deva: Welche Rolle spielt Tanz als eine spirituelle Praxis auf dem Inneren Weg?

Unmani: Ich denke, für mich, in meiner Erfahrung in Bezug auf die Bewegung des Körpers, ist es zuallererst eine sehr tiefe Einladung, aus dem Kopf und aus dem Denken in das Fühlen und Spüren zu kommen. Denn so häufig können wir mit dieser Lehre einfach nur sitzen und reden. Das kann natürlich auch schön sein, aber es ist großartig, wenn das von einer anderen Art der Erforschung begleitet wird, die körperlicher ist. Dann können alle Konzepte oder Worte, die in diesem gesprochenen Teil gesagt wurden, von dir in deiner direkten Erfahrung erschlossen werden. Dann können die Einsichten für dich durch deine eigene Erfahrung und Erforschung real werden. Und das ist so wichtig, denn ohne das bleibt es möglicherweise einfach nur schal und nahezu abstrakt.

Tanz ist so verspielt; natürlich kann er auch sehr ernst sein, aber die Art und Weise, wie ich damit arbeite, lädt zu immer mehr Verspieltheit und Freiheit ein; wie Kinder, denn als Erwachsene neigen wir dazu uns sehr zu versteifen. Wir spüren Steifheit und Anspannung im Körper und weil wir uns selbst sehr ernst nehmen, schränken wir unsere Bewegungen ein. Wenn wir uns also bewegen und dem Energiefluss folgen, während er sich im Körper bewegt, und wir uns erlauben, diesem zu folgen, stoßen wir auf all diese mentalen Schranken, die diesen Fluss anscheinend gestoppt haben. Und wenn dann die Einladung da ist und wir uns sicher fühlen, dann können wir diesen Schranken begegnen und sagen: „Okay, vielen Dank, du Schranke. Du hast mir in der Vergangenheit geholfen. Du hast mich beschützt und warst mir in der Vergangenheit sehr dienlich, vielen Dank! Aber jetzt tritt bitte beiseite.“ So öffnen wir uns immer mehr und spüren immer stärker die Erfahrung körperlicher Freiheit.

Und wir dürfen überrascht sein. Ich bin so oft überrascht, wenn ich mir beim Tanzen und Bewegen zusehe. „Ah, das ist schön.“ Es ist ein Gefühl von Lebendigkeit und du weißt nie, was sie als nächstes tun wird, wenn sie nur dem Energiefluss folgt. Und es könnten alles kleine Bewegungen sein, wo sie etwas sehr Subtilem folgt – oder auch etwas wirklich Großes, Starkes. In unserer Gesellschaft können wir diese Energie normalerweise nicht bewusst halten. Wir versuchen, erwachsen zu werden und wichtige Menschen zu sein, die wissen, was sie tun und all diese Ernsthaftigkeit. Und im Tanz können wir das einfach loslassen und einfach ausdrücken. Das ist sehr befreiend.

Natürlich trifft das auf alle Kunstformen zu, alle Formen von Kreativität; auf Musik, Malerei, künstlerischen Ausdruck im Allgemeinen. Das ist der Weg, aus dem Kopf herauszukommen und dieser lebendigen Kraft zu folgen, wohin sie dich auch führen mag, auch wenn das möglicherweise verrückt oder übertrieben aussieht. Es kann sich auch sehr riskant anfühlen, vielleicht gefällt es niemandem oder niemand mag dich mehr. Es kann für dich selbst auch sehr beängstigend sein, etwas wirklich Großes auszudrücken. Aber du folgst dem einfach weiter, folgst den läutenden Glocken. Und es kann eine so schöne Meditation sein, wenn man sich in den Tanz, in die Musik oder die Kunst, in was auch immer, verliert. Du verlierst den Verstand und es gibt nurmehr die Kunst, die sich vollzieht, der Tanz, der sich tanzt. Ich bin es nicht selbst, die tanzt oder singt.

Deva: Und würdest du sagen, ich meine, wenn der Tanz dann zu Ende ist, dann kommt zum Beispiel der Verstand zurück. Gibt es etwas, das das, was im Tanz erlebt wird, in das Erlebnis ohne Tanz integrieren kann?

Unmani: Aber weißt du, du tanzt tatsächlich immer. Der Tanz ist nie zu Ende. Und so würde ich das sehen, nur so kann man es integrieren. Nicht durch irgendein Tun oder irgendein Versuchen. Ja, es gibt Zeiten, in denen du gezielt Musik auflegst und sagst: „Ja, ich tanze in dieser Zeit“. Und in dieser Zeit gehst du vielleicht tiefer und hast tiefere Einsichten. Aber wenn die Musik dann aufhört und du anscheinend nicht mehr tanzt, ist das doch nur noch eine mentale Idee, oder? „Jetzt muss ich mich wieder zusammenreißen und wieder ernst sein oder zu diesem menschlichen Roboter werden oder so ähnlich.“ Aber natürlich musst du dich nie wieder zusammenreißen! Du nimmst die wunderbaren Einsichten, die du in der Erforschung durch den Tanz gewonnen hast, und du beobachtest dich dann dabei, wie du beim  Sprechen tanzt, beim Arbeiten tanzt, wenn du in Beziehung gehst. Es hört nie auf, immer dem Fluss der Energie zu folgen, das stattfindende Zusammenspiel zu beobachten, den Menschen in dem zu beobachten, was auch immer er tut.

Deva: Das ist sehr schön. Das ist ein Tanz.

Unmani: Ja, wir tanzen gerade miteinander.

Deva: Das habe ich noch nie so gesehen, da habe ich etwas getrennt. Das ist wirklich sehr erhellend. Herzlichen Dank!

Unmani: Ja, herzlichen Dank.

Wir wünschen euch einen mitfließenden Tanz in das kommende Jahr!

„Wer die Kraft des Tanzes kennt, lebt in Gott.”
Rumi

*Shunyata = Leere, Leerheit. Zentraler Begriff der buddhistischen Schule der Madhyamaka, der die Substanzlosigkeit aller Phänomene in ihrer bedingten Entstehung und Unbeständigkeit bezeichnet. Leerheit ist eine Umschreibung für das Nichtbestehen irgendwelcher Seinsessenzen, für das Fehlen eines Selbst, eines Ich und einer Eigennatur der Dinge.

Weiterführende Literatur:

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